Fotadrevo in Madagaskar
http://www.aerzte-fuer-madagaskar.de/project/hopitaly-zoara-fotadrevo
Abschlussbericht
zur Sanitärsituation im Hospital Zaora Fotadrevo und Umgebung Nov. 2014
von
Alex LUPKE
Fragestellung
• Wie sieht die aktuelle Situation bezüglich Sanitäranlagen und Hygiene im Hospital Zaora Fotadrevo aus?
• Welche Anlagen gibt es?
• Wie werden diese genutzt?
• Welche Maßnahmen werden bezüglich Aufklärung und Erläuterung durchgeführt?
• Wer führt diese Aufgaben durch?
• Wie gestaltet sich die Situation außerhalb des Krankenhausgeländes?
• Welche kulturell und sozial bedingten Probleme lassen sich hinsichtlich dieser Fragen feststellen?
• Wie sieht die Situation in anderen Krankenhäusern im Südwesten von Madagaskar aus und welche gemeinsamen Erfahrungen können genutzt werden?
• Welche Perspektiven eröffnen sich unter Berücksichtigung der gesammelten Information?
• Welche Personen/Gruppen können lokal eingebunden werden?
Einleitend ist zu sagen, dass die Situation im gesamten Südwesten Madagaskars durch zwei maßgebliche Faktoren bestimmt wird. Zum einen ist dies der massiv eingeschränkte Zugang zu allen Ressourcen (seien es materielle, wie z.B. sauberes Wasser, Nahrung und sonstige Dinge des täglichen Lebens, oder auch gesellschaftliche wie z.B. Bildung, Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen oder auch Mobilität und damit Austausch an Kultur und Information) und zum anderen ist es ein äußerst komplexes Geflecht an gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Regeln und Vorstellungen, die im Grunde alle Bereiche des täglichen Lebens betreffen und oft auch bestimmen.
Auf Grund der sehr heterogenen Zusammensetzung der Bevölkerung, hervorgerufen durch eine Vielzahl an Ethnien (tribus) und Stämmen (tokos), sind diese Regeln und Tabus (fadys) sehr variabel. Diese vielschichtige Ausgangslage und der limitierte zeitliche Rahmen, in dem eine Untersuchung vor Ort möglich war sind bei der Auswertung zu berücksichtigen. Eine vollständige Untersuchung aller mit dem Thema verbundenen Aspekte war/ist nicht möglich. Dieser Bericht ist daher als Überblick zu lesen und kann eine Basis für die weiteren Arbeiten im Bereich “Sanitär” bieten.
Nach meinen Untersuchungen, welche sowohl andere Krankenhäuser in der Region als auch die angrenzenden Gemeinden und Dörfer als Grundlage haben, lässt sich feststellen, dass das Zaora Hospital eine Sonderstellung in der Region einnimmt.
Es gibt klare Regeln, welche für das gesamte Krankenhausgelände gelten und jegliche Verrichtung der Notdurft auf dem Gelände außerhalb der Toiletten verbieten. Diese Regeln werden unter Androhung empfindlicher Geldstrafen auch restriktiv umgesetzt. Alle ankommenden PatientInnen und deren Angehörigen erhalten bei Aufnahme eine mündliche Unterweisung wo die Toiletten und wie sie zu benutzen sind und dass es als Alternative möglich ist für die Notdurft in den „Wald“ (d.h. Freifläche/Steppe außerhalb des Krankenhausgeländes) zu gehen. Gleichzeitig wird über die Strafen bei Nichteinhaltung dieser Regeln informiert.
In den Gesprächen, die ich mit Angestellten des Krankenhauses geführt habe, wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass versucht wird diese Aufnahme- und Aufklärungsgespräche bezüglich der Toiletten und der Regeln so verständlich und verständnisvoll wie möglich durchzuführen. Und auch versucht wird der Sensibilität des Themas für die Bevölkerung Rechnung zu tragen. Aufgrund von Übersetzungsproblemen kann ich keinen genauen Wortlaut eines solchen Gesprächs wiedergeben. Festhalten kann ich jedoch, dass es kein festes Konzept oder Leitfaden für diese Gespräche gibt sondern diese sich jedes Mal aufs Neue individuell ergeben.
Um die Einhaltung dieser Regeln zu gewährleisten, sind zwei Personen im Krankenhaus angestellt. ( Papa Sol und Ninire )1 Die beiden Männer sind zusätzlich auch für die Instandhaltung und Säuberung der Toiletten auf dem Gelände verantwortlich. (darauf wie außergewöhnlich allein das ist komme ich später noch) Die Anlagen, die derzeit auf dem Krankenhausgelände genutzt werden, sind zwei Latrinentoiletten2 und zwei „italienische“ Stehtoiletten3 mit Anschluss an eine Sickergrube. Es gibt die Option mit einem Wassereimer nachzuspülen. (weshalb diese Art der Toilette in Gesprächen mit Übersetzung, die ich geführt habe immer wieder auch als Flush-Water-Toilet firmiert).
Es gibt eine Trennung zwischen Toiletten für die Belegschaft und denen für PatientInnen und Angehörigen. Aufgrund der doch relativ geringen Akzeptanz für diese Toiletten und der Gegebenheit, dass die Benutzung überwiegend früh morgens oder am Abend stattfindet, sind die BesucherInnen-Toiletten derzeit tagsüber abgesperrt. Den Schlüssel verwalten die beiden Security-Angestellten. Wiederkehrendes Problem bei der Benutzung der Toiletten ist die verbreitete fehlende Kenntnis über den Umgang mit Toilettenpapier.
Alternativ werden zur Säuberung kleine Stöcke oder Steine benutzt, welche dann in der Folge die Abflussrohre der „Flush-Water-Toilets“ verstopfen. Diese müssen dann von den beiden Toiletten-Verantwortlichen per Hand freigeräumt werden - oder bergen sogar die Gefahr Porzellanteile der Toilette zu zerstören, was zum Beispiel in einem Krankenhaus in Toliara der Fall war.
Zusammenfassend lässt sich über die aktuelle Situation im Zaora Hospital in Fotadrevo sagen, dass das bestehende System hinsichtlich der Sauberkeit auf dem Gelände funktioniert. Die Sonderstellung des Krankenhauses in der Region beruht zum einen auf dem großen Respekt den Dr. Elson bei der Bevölkerung genießt, zum anderen auf der Notsituation der Betroffenen und deren Abhängigkeit von der medizinischen Behandlung. Erwähnenswert ist auch die sehr gute räumliche Einfassung des Krankenhausgeländes durch einen Zaun oder eine Mauer und damit eine sehr deutliche Determination zwischen „Innen“ und „Außen“. Auch die Spezialisierung der beiden Security-Angestellten auf den Themenbereich „Sanitär“ und deren Bereitschaft sich auf diese gesellschaftlich geächtete Arbeit einzulassen muss hervorgehoben werden.
1 Alle Fußnoten siehe
Fotodokumentarischer Anhang am Ende
2 3
Die Situation außerhalb des
Krankenhausgeländes in Fotadrevo.
Vor ca. 2-3 Jahren wurde im Süden Madagaskars eine Kampagne mit dem Ziel die ländlichen Regionen mit Toiletten zu versorgen durchgeführt. Diese Kampagne war eine Kooperation zwischen staatlichen Beteiligten und einer NGO namens PAEAR4. Als Folge sind in vielen größeren Dörfern und Gemeinden Toiletten mit auffälligen blauen Türen mit weißem PAEAR-Schriftzug zu finden. Leider ist neben der Farbe auch der oft schlechte Zustand oder die praktische Nicht-Nutzung dieser Toiletten auffällig. Diese Toiletten sind größtenteils als „Flush-Water-Toilets“ gebaut, wobei sie jedoch an kein Abwassersystem angeschlossen sind sondern direkt über den dazugehörigen Sickergruben gebaut wurden. Somit sind sie eher als Latrinen zu bezeichnen. Ein Frischwasseranschluss ist bei keiner einzigen dieser Anlagen zu finden. In Fotadrevo sowie in allen von mir besuchten anderen Orten mit PAEAR-Toiletten, ist festzustellen, dass diese Anlagen im Grunde gar nicht genutzt werden.
Bei intensiver Nachforschung bezüglich möglicher Gründe hierfür kam wiederholt die Antwort, dass diese Toiletten niemals „offiziell“ der Bevölkerung übergeben wurden. Das heißt, eine Übergabe und Vermittlung dieser für die dortige Bevölkerung fremden und ungewohnten Anlagen hat meines Wissens nirgendwo stattgefunden. In Fotadrevo wurden an 4 Stellen Toiletten von PAEAR gebaut: am Marktplatz/Dorfzentrum5, an der Grundschule6, am dortigen Gesundheitszentrum (CSB - Centre Sante Base )7 und der katholischen Privatschule.
Die Anlagen am CSB werden nach Aussagen des dortigen Arztes gar nicht genutzt. Als großes Problem wurde genannt dass seit dem letzten Zyklon keinerlei Zaun oder Begrenzung um das Krankenhausgelände herum mehr besteht8. Die Toiletten an der Grundschule sind mit Ausnahme einer Toilette für die Lehrkräfte alle verschlossen und werden nicht genutzt9. Bei einem Treffen mit dem Schulrektor erklärt dieser, dass er so lange er keinen eingrenzenden Zaun um das Schulgelände herum bekommt, aus Angst vor Verschmutzung und Zerstörung die Toiletten nicht öffnen lassen wird. Die Toiletten am Marktplatz/Dorfzentrum werden laut Aussage des Bürgermeisters nach einem bestimmten System genutzt, sind aber auch dort nicht für die Allgemeinheit geöffnet10. Die Toiletten im Zentrum sind abgesperrt und die Schlüssel werden von einzelnen Familien verwaltet, welche dann im Zuge für „ihre“ Toilette verantwortlich sind. Nach Aussage des Bürgermeisters scheint dieses System leidlich zu funktionieren.
Eine der wenigen positiven Ausnahmen scheint die katholische Schule unter der Leitung von Ordensschwestern zu sein. Den Kindern wird frühzeitig die Benutzung der Toiletten vermittelt, die Reinigung obliegt den Kindern selbst und das Gelände macht den Eindruck als würden die Toiletten auch tatsächlich genutzt. Ein weiterer positiver Faktor ist, dass das Schulgelände zu großen Teilen von einer Mauer oder einem Zaun eingefasst wird.
4 5 6 7 8 9 10
Inwieweit bezüglich der Sauberkeit der Toiletten noch Luft nach oben besteht, vermitteln die Bilder relativ deutlich n°11.
Ein Großteil der Bevölkerung von Fotadrevo hat also keinen Zugang zu Toiletten oder sonstigen sanitären Anlagen. Bei meinen Nachforschungen kam ich in Kontakt mit verschiedenen gesellschaftlichen Kräften die unabhängig voneinander bezüglich der Thematik Sanitär/Hygiene Anstrengungen unternehmen.
Ausgehend von den jeweiligen CSB gibt es eine Art Gemeindearbeiter (sogenannte agent communitaire) welche in den Dörfern der Umgebung leben und arbeiten und dort als absolute Grund/oder Basisversorgung in gesundheitlichen Dingen agieren. Die staatliche Gesundheitsversorgung der ländlichen Bevölkerung wird über die CSB organisiert. Diese sind je nach Ausstattung in verschiedene Kategorien unterteilt, wobei die agent communitaire unter die Kategorie 1 fallen.
Das CSB in Fotadrevo ist mit einem fest angestellten Arzt (Dr. Albertine) bereits Kategorie 2 und damit direkter Vorgesetzter der agent communitaire. Ausgehend von der katholischen Gemeinde und dem katholischen Orden welchem die oben genannte Schule angeschlossen ist gibt es ebenfalls eine Art Gemeindearbeiter (sogenannte katechistas). Auf einem Treffen eines Großteils aller katechistas der Region Fotadrevo hatte ich die Chance meine Fragen an die Anwesenden zu richten.
Sie berichteten von ihren teils sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Versuchen hinsichtlich der Situationen in ihren jeweiligen Dörfern. Nach ihrer Aussage gibt es aktuell eine Kampagne einer NGO namens CRTS oder CDTS mit dem Ziel, Toiletten im ländlichen Raum zu installieren. Leider konnte ich bisher keine weiterführenden Informationen zu dieser NGO in Erfahrung bringen und ein einberufenes Treffen der 'katechistas' mit Vertretern dieser NGO in Fotadrevo, zu welchem ich eingeladen wurde fand am genannten Termin nicht statt. Hierzu ließen sich vor Ort keine weiteren Informationen sammeln.
Die Grundschule in Fotadrevo wird seit ca. 10 Jahren durch ein Projekt von WASH unterstützt. Dabei handelt es sich vor allem um die Themen sauberes Trinkwasser und verbesserte Hygiene durch Händewaschen. Zu diesen Themen gibt es laut Aussage des Schulleiters Unterrichtseinheiten und für die Reinigung des Wassers technisch sehr einfache Filtersysteme für Wassereimer. Die beteiligte Projektgruppe für WASH kommt aus China.
Der Bürgermeister berichtete mir von seinen Plänen dass die Toiletten im Dorfzentrum in Zukunft von den Marktverantwortlichen betreut werden sollen. Sehr konkret erschienen mir die Pläne jedoch nicht. So ist zum Beispiel die Reinigung der Toiletten überhaupt nicht geklärt. Dr. Elson äußerte seine deutlichen Zweifel und verortete die Aussage des Bürgermeisters in den rein politischen Bereich, ohne ihm praktischen Wert einzugestehen. Im nächsten Atemzug formulierte der Bürgermeister auch große Erwartungen an das Zaora Hospital bezüglich der Sanitär-Aufklärung der Bevölkerung und machte damit sein eigenes geringes Interesse an jeglicher Verantwortung seiner Administration deutlich.
Inwieweit PAEAR noch im Süden Madagaskars aktiv ist, konnte ich von hier aus nicht in Erfahrung bringen. Eine weitere NGO, von der mir im Rahmen des PAEAR-Projekts berichtet wurde, hat den Namen TARATRA aus Antananarivo. Ihr wurde nachgesagt dass sie mit dem Follow-Up des PAEAR-Projekts betraut wurde und ansonsten vor allem mit Brunnen-Erschließung in Verbindung steht.
n° 11
Soziale, kulturelle und religiöse Probleme
Bei dem wahrscheinlich schwierigsten Themenbereich möchte ich gerne mit den am ehesten nachvollziehbaren Problemen beginnen: den Schwierigkeiten aufgrund der sozialen Situation. Begrenzter oder fehlender Zugang zu Bildung, sauberem Trinkwasser, nicht existierende finanzielle Mittel für Hygieneartikel oder sanitäre Anlagen bilden den Hintergrund für die Situation im Süden Madagaskars.
Für einen Großteil der Bevölkerung stellen sowohl die Latrinen als auch die „Flush-Water“-Toiletten ein Novum dar. Eine praktische Erfahrung kann in keinster Weise vorausgesetzt werden. Der in vielen Orten äußerst mühsame Zugang zu Trinkwasser, gepaart mit der beschriebenen fehlenden Erfahrung hat zum Beispiel in Toleara in einigen Fällen schon dazu geführt, dass Menschen aus Sitzwassertoiletten getrunken haben. Es war für diese Menschen nicht vorstellbar dass gutes sauberes Wasser für so etwas wie Toilettenspülung genutzt würde. Das selbe gilt für die Nutzung Trinkwassers zum Hände waschen. Es ist ein schwieriger Prozess.
Ein weiterer bereits genannter Punkt ist die Säuberung nach dem Stuhlgang mit Steinen oder Stöcken. Ungeachtet aller noch zu nennenden kulturellen und religiösen Schwierigkeiten könnten sich viele Menschen der dortigen Region so einen kleinen Luxus wie Toilettenpapier schlicht und einfach nicht leisten. Dementsprechend fehlt auch dort jegliche praktische Erfahrung, was dazu führt, daß zur Verfügung gestelltes Papier nicht genutzt wird.
Um den Rahmen dieses Berichts nicht zu sprengen, versuche ich die Beschreibung der kulturellen und religiösen Bedingungen die für dieses Thema von Relevanz sind, möglichst allgemein zu halten: generell ist der Umgang der Menschen in Madagaskar (und vor allem im Süden des Landes) mit Fäkalien mit starken Tabus belegt. Diese Tabus variieren von Volksgruppe zu Volksgruppe und teilweise sogar von Familie zu Familie. Aufgrund der ethnischen Vielschichtigkeit der madagassischen Bevölkerung findet sich ein äußerst buntes Bild an verschiedensten religiösen und kulturellen Einflüssen, die auch individuell jeweils sehr variabel sein können. Nichtsdestotrotz sind die jeweiligen Regeln und Tabus für die sich dann eine Gruppe oder Familie entschieden hat relativ streng und bindend.
Sehr weit sind im Süden
die folgenden zwei Tabus verbreitet:
1.- Der körperliche Kontakt mit Fäzes, vor allem mit den Händen sollte unter allen Umständen vermieden werden.
2.- Die Verrichtung der Notdurft an einer Stelle, an der bereits eine andere Person ihre Notdurft verrichtet hat ist auch mit einem Tabu belegt.
Allein aufgrund dieser beiden zentralen Fadys ergeben sich verschiedenste Schwierigkeiten. Für die Benutzung von Toilettenpapier zum Beispiel: Da Papier als sehr dünn und vielleicht auch durchlässig wahrgenommen wird, birgt es für viele die Gefahr sich im Falle der Säuberung zu verunreinigen und das Fady zu brechen. Eine Reinigung möglicher Toiletten wird durch den Umstand erschwert, dass der Kontakt mit Ausscheidung per Fady praktisch verboten ist und somit bei Reinigung einer Toilette für viele Menschen die Gefahr der gesellschaftlicher Ächtung besteht.
Durch das zweite beschriebene Tabu besteht jedoch als Voraussetzung für eine mögliche Nutzung einer Toilette eine sehr hoher Anspruch an den Grad der Reinlichkeit, welches an die jeweilige Sanitäranlage gestellt wird.
Eine nennenswerte Ausnahme des ersten Fadys ist die Fürsorge für kranke Familienangehörige. So ist es Familienangehörigen erlaubt, die Körperpflege und Reinigung der Bettpfannen durchzuführen. Diese Ausnahme gilt bei einigen auch für gesunde Familienangehörige, so dass es positive Beispiele von Toiletten gibt, die nur von einer bestimmten Familie genutzt und auch sauber gehalten werden.
Im Gespräch mit den beiden Männern, die am Zaora Hospital Fotadrevo für die Toiletten verantwortlich sind, erklärten sie mir warum es für sie beide jeweils möglich ist diese Arbeit zu verrichten. Einer der beiden komme ursprünglich aus dem Norden des Landes und für ihn würden diese Fadys nicht in der Strenge gelten und außerdem sei er Christ. Für den anderen der beiden Männer, der gebürtig aus Fotadrevo kommt, gelten diese Fadys zwar, er fühlt sich jedoch so sehr der Verantwortung gegenüber dem Krankenhaus und Dr. Elson verpflichtet dass er diese Arbeit aus einer Mischung aus Pflicht und Stolz zu der seinen gemacht hat.
Daran lässt sich gut zeigen dass diese Gebote und Verhaltenskodizes zwar einen großen Einfluss im Leben Madagaskars haben und an vielen Punkten auch noch als die bestimmenden Faktoren zu nennen sind, dass es jedoch immer wieder auch Beispiele dafür gibt, dass sich scheinbar starre Normen ändern oder umgehen lassen. Diese Beispiele zeigen, dass die Traditionen durchlässig werden und es den Menschen erlauben, sich auf veränderte Situationen und Lebensverhältnisse und sich ergebende Notwendigkeiten einzustellen. Diese Veränderung ist bei allem Optimismus im besten Falle als mühsam zu bezeichnen aber auch genau nach meiner Auffassung der Punkt an dem unser Handeln ansetzen muss, um erfolgreich zu sein.
Die Situation
in anderen Krankenhäusern der Region
Während meines Aufenthaltes in der Region um Toliara und Fotadrevo hatte ich noch die Möglichkeit, zwei weitere Krankenhäuser zu besuchen. Es handelt sich hierbei um das private christlich geführte Hospital St.Luc in Toliara und das staatliche Krankenhaus in Bezaha.
Zum Zeitpunkt meines Besuches wurden beide Kliniken noch von deutschen NGO's unterstützt. Im Falle der Clinique St.Luc handelt es sich um den Verein Melzer und im Falle des Krankenhauses in Bezaha um den Verein Cap Anamur, der jedoch wenige Wochen später sein langjähriges Engagement in der Region beendete.
In Hospital St.Luc wurde die Bezahlung der Krankenhausbehandlung nach dem „Lambarene-Prinzip“ organisiert. Demzufolge bezahlten mittellose PatientInnen kein Geld für die medizinische Versorgung und PatientInnen mit finanziellen Mitteln je nach der Höhe ihres Einkommens. Die Unterbringung der PatientInnen wurde grob diesem Prinzip folgend in drei „Klassen“ unterteilt. Mit der Annahme im Hintergrund, dass je nach Einkommen auch ein entsprechender Bildungs- und Erfahrungsstand erwartet werden kann, sind auch die sanitären Anlagen je nach Patienten-“Klasse“ unterschiedlich. PatientInnen der ersten Klasse haben Sitztoiletten mit Wasserspülung in ihren Zimmern. PatientInnen der zweiten Klasse können Stehtoiletten mit Wasserspülung auf dem Gang benutzen, müssen sich jedoch jeweils vom Pflegepersonal den Schlüssel geben lassen. Für die PatientInnen der dritten Klasse gibt es im Außenbereich eine Latrinenanlage als auch in der Nähe eine Freifläche. Im derzeitig noch im Bau befindlichen neuen Stationsflügel für die dritte Klasse sollen nun ebenfalls Flush-Water-Stehtoiletten installiert werden.
Ein Konzept wie diesem ärmsten PatientInnenkollektiv und seinen Angehörigen diese wahrscheinlich ungewohnten Anlagen und deren Benutzung erklärt und näher gebracht werden soll, bestand zum Zeitpunkt meines Besuches leider noch nicht. Ein Austausch über mögliche Ideen oder Lösungen würde bestimmt dankbar angenommen.
Bezüglich der sanitären Anlagen der ersten und zweiten Klasse wurde mir von keinen nennenswerten Problemen berichtet. Die jeweiligen PatientInnen hatten aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position und dem Status von Toliara als Universitätsstadt meist ausreichend Erfahrung mit den vor Ort befindlichen Toiletten.
Die Situation im Krankenhaus von Bezaha stellte sich als grundsätzlich verschieden zu denen in Fotadrevo oder auch in Toliara dar. Bei meinem Besuch fand ich eine für dortige
Verhältnisse recht gut ausgestattete Klinik vor12. Die Gebäude waren in einem soliden Zustand, von Engpässen beim Personal wurde mir nichts berichtet und aufgrund der staatlichen Trägerschaft sollte die Behandlung weitestgehend kostenfrei sein.
Trotzdem war das Krankenhaus, abgesehen vom diensthabenden medizinischen Personal fast menschenleer. Der Projektleiter von Cap Anamur, welcher mit uns vor Ort war, erklärte uns die vorgefundene Situation mit seinen gesammelten Erfahrungen.
Die Bevölkerung habe über die Jahre fast jegliches Vertrauen gegenüber dem Krankenhaus verloren, der Klinikleiter zeige keinerlei Interesse, an der Situation etwas zu ändern und vorgesetzte Kontrollinstanzen im Gesundheitswesen (zum Beispiel das Gesundheitsamt in Toliara) ignorieren vorgebrachte Beschwerden konsequent. Über Gründe für diese Entwicklung könnte ich nur spekulieren.
Auch für die Sanitäranlagen gibt es in der Klinik kein Konzept und keinen Verantwortlichen. Die in den Gebäuden installierten Anlagen sind entweder abgesperrt, oder kaputt, oder voll gestellt, oder in einem so schlechten hygienischen Zustand dass eine Nutzung im Grunde nicht möglich ist. Es gibt eine Stehtoilettenanlage im Außenbereich die abgeschlossen ist und nur teilweise vom Pflegepersonal genutzt wird und eine Latrinenanlage, bei der jedoch wiederum der Zustand eine Nutzung de facto ausschließt.
In der Praxis hat das zur Folge dass die am meisten genutzte „Toilette“ die Außenfläche um und hinter der Latrinenanlage ist13. Die Entwicklung der hygienischen Situation wäre bestimmt katastrophal sollte das Krankenhaus tatsächlich, entsprechend seiner Kapazität, von PatientInnen in Anspruch genommen werden.
Zusammenfassung und Perspektiven
Für die Situation in Fotadrevo lässt sich nun folgendes Bild umreißen.
- Die Benutzung der verschiedenen Toilettenanlagen wird in der Region von immer wieder auftretenden Problemen begleitet. Kleinere Fortschritte sind zu beobachten, vollziehen sich jedoch äußerst mühsam und müssen hart erkämpft werden
- Die Sauberkeit auf dem Gelände, des in Betrieb befindlichen Lazaretts kann aufgrund verschiedener Faktoren gewährleistet werden: räumliche Abgrenzung durch Zaun oder Mauer, Aufsicht und Aufklärung durch Security-Personal, außergewöhnlich großes Vertrauen dass dem Chefarzt Dr.Elson von der Bevölkerung entgegen gebracht wird.
- Für den Umzug in den Krankenhausneubau Mitte März sollte das Ziel sein die funktionierenden Strukturen weiterhin zu nutzen und dort wo es nötig ist den neuen Gegebenheiten anzupassen oder, falls möglich, zu verbessern.
- Verschiedenste gesellschaftliche Kräfte arbeiten von unterschiedlichen Ansatzpunkten aus an der Verbesserung der sanitären und hygienischen Situation. Eine Vernetzung dieser AkteurInnen schätze ich als sehr erstrebenswert ein.
In diesem Sinne möchte ich nun verschiedene konkrete Vorschläge zur Diskussion stellen:
Gästetoilette:
Für die Anfangszeit kann ich mir vorstellen, dass es hilfreich sein könnte, wenn einer der beiden Security-Angestellten nahe der Gästetoilette einen kleinen Posten bekommt, an dem die Menschen auf dem Weg zur Toilette vorbei müssen. Unterstützt durch Schautafeln und
n°12 n°13
Pictogramme und durch verbale Aufklärung könnte so nochmals auf die sachgerechte Nutzung der Toilette hingewiesen und auftauchende Fragen behandelt werden.
Toilettenpapier sollte wenn möglich gestellt und die Nutzung ebenfalls ausführlich erläutert werden. Auf die Ängste vor Verunreinigung der Hände/Finger müsste eingegangen werden. Auf die Möglichkeit und Notwendigkeit des Händewaschens soll hingewiesen werden. Dies könnte auch mit Unterstützung durch Schautafeln und Pictogramme erfolgen.
Demnach gäbe es dann die initiale Aufklärung und Erläuterung zur Toilettennutzung wenn die PatientInnen und ihre Angehörigen das Krankenhaus betreten und diese zweite Station in der Nähe der Toilette. Ein Zaun, der die BesucherInnen und Angehörigen von ihrem Lagerplatz Richtung Toilette und dabei an dem Posten des Security-Angestellten vorbei steuert, ist bestimmt auch hilfreich.
Für alle die Menschen die sich trotz allem nicht auf die für sie 'neumodischen' Toiletten einlassen möchten oder können sollte es eine Freifläche nicht unweit des Krankenhausgeländes geben. Dies sollte die Gefahr reduzieren, dass trotz der Kontrollen und Strafen die Notdurft auf dem Gelände verrichtet wird.
Security-Personal:
Da es, wie bereits erwähnt, äußerst schwer ist, in der Region von Fotadrevo Menschen zu finden, die bereit sind, in Arbeitsfeldern tätig zu sein, die mit Fäkalien assoziiert werden und Papa Sol und Ninirie beide nicht mehr die Jüngsten sind, möchte ich empfehlen, sich rechtzeitig mit der Frage der Nachfolge zu beschäftigen.
Möglich wäre es, junge Menschen als Auszubildende einzustellen. Um die Berührungsängste noch zu reduzieren, könnten eventuelle Familienangehörige der beiden in Betracht gezogen werden.
Gesundheitsaufklärung:
Diesen Punkt würde ich gerne je nach Zielgruppe in drei Bereiche unterteilen. Zum einen die PatientInnen und ihre Angehörigen, die ins Krankenhaus kommen. Diese Aufklärung müsste durch das Krankenhauspersonal erfolgen und findet im Rahmen der Aufnahmegespräche bezüglich der Toiletten und Sanitärstruktur bereits statt.
In wie weit die Inhalte dieser Gespräche hin zu generelleren gesundheitlichen Themen erweiterbar sind müsste diskutiert werden. Praktikabler erscheinen mir ein oder zwei wöchentliche Termine mit wechselnden Themen. Inwieweit das durch das Klinikpersonal zu leisten ist, ist fraglich.
Als nächster Arbeitsbereich käme die Aufklärung der Kinder in den verschiedenen Schulen. In den beiden von mir besuchten Schulen (öffentliche und katholische Schule) finden bereits Unterrichtseinheiten zum großen Themenbereich Sanitär/Hygiene statt. In der katholischen Schule steht die richtige Nutzung der dort vorhandenen Toiletten im Vordergrund, während in der öffentlichen Schule das Programm von W.A.S.H. läuft, welches sich vor allem mit sauberem Trinkwasser und Körperhygiene beschäftigt.
Beide Schulleitungen äußerten ihr Interesse an weiteren Programmen zu diesen Themen beteiligt zu werden. Beispielhaft habe ich ein Aufklärungsprogramm (Arbeitsblätter, Pictogramme, Workbook) der German Toilett Organisation für Grundschulkinder als Anschauungsmaterial vor Ort bei Dr.Elson gelassen.
Die German Toilett Organisation hat bereits im Vorfeld ihre Unterstützung angeboten und kann gerne mit Fragen bezüglich eventueller Projekte angeschrieben oder angerufen werden. Bestimmt gibt es aber auch noch weitere Programme von WHO, W.A.S.H. oder anderen Organisationen die von Nutzen sein können.
Als dritten Bereich einer möglichen Gesundheitsaufklärung möchte ich die dörfliche Struktur und die jeweilige Bevölkerung nennen. Wenn für die ersten beiden Bereiche positiv zu erwähnen ist, dass im Fall des Krankenhausbesuches die Menschen durch die angebotene Hilfe und im Falle der Schulkinder wegen des jungen Alters, leichter zu eventuellen Verhaltensänderungen gebracht werden können dann muss auch erwähnt werden dass es umso schwerer ist, diese Menschen in ihren traditionellen dörflichen und häuslichen Zusammenhängen zu Veränderungen zu bewegen.
Erfreulicherweise gibt es aber auch hier positive Faktoren die von Nutzen sein können: Es arbeiten bereits verschiedene AkteurInnen in den Dörfern zu Gesundheits- und Hygienethemen. Zum einen die 'katechistas' der katholischen Gemeinden als auch die 'agent communitaire' des Gesundheitszentrums in Fotadrevo.
In Gesprächen mit Dr. Elson habe ich auch schon über die Möglichkeit diskutiert, sogenannte „Communal Health Workers“ in die Dörfer der Region zu entsenden die mit den Ärztinnen und Ärzten des Krankenhauses im Rücken Gesundheitsschulungen durchführen, fragliche PatientInnen in den Dörfern voruntersuchen oder eben generell als erste Anlaufstation fungieren könnten.
(Das Konzept der Communal oder Primary Health Workers wird mindestens seit den 70'er Jahren von der WHO verbreitet. Ein Buch welches sich mit der Ausbildung solcher Health Workers beschäftigt konnte ich bereits Dr. Elson überlassen). Solche Health Workers würden zum einen das Vertrauen in das Krankenhaus erhöhen als auch den Zugang zu Hilfe und Information verbessern.
Diskutiert haben wir auch eine mögliche Kooperation mit dem CSB und Dr. Albertin, der ja mit den ihm unterstellten agent communitaire bereits Gesundheitsarbeiter vor Ort in den Gemeinden haben sollte. Eine eventuelle Aus- und Weiterbildung dieser Health Workers im Krankenhaus könnte eine Möglichkeit darstellen. Die langjährige Bekanntschaft der beiden Ärzte seit dem gemeinsamen Studium sollte eine mögliche Kooperation zudem erleichtern14. Auch eine mögliche Gesundheitsaufklärung via Radio (wurde schon einmal besprochen) halte ich für ein erstrebenswertes Vorhaben.
Frischwasserbrunnen:
Auf Grund der Tatsache, dass auch viele Tiere auf dem aktuell genutzten Klinikgelände frei herum laufen, möchte ich aus hygienischen Gründen empfehlen, den Frischwasserbrunnen auf dem neuen Krankenhausgelände mit einem Zaun oder einer Mauer einzufassen. Denn es ist zu erwarten, dass auch dort wieder Tiere auf dem Gelände sein werden.
Technische Ausstattung:
Um die Funktionalität der neuen Toiletten- und Abwasseranlagen zu gewährleisten, empfehle ich das Krankenhaus mit ein oder zwei langen Rohrreinigungsspiralen auszustatten und entsprechend Personal mit der Benutzung vertraut zu machen.
Um eine mögliche Keimbelastung zu vermeiden, empfehle ich, entweder eine tägliche Reinigung der Befeuchtungskammer am Sauerstoffgerät (Respitrator) oder die Nutzung des Gerätes ohne Flüssigkeit, also trocken n°15.
Auf eine wiederholte Benutzung von Einmaltuben und Larynxmasken sollte verzichtet werden, um die Gefahr einer Infektion zu minimieren.
Ich bin mir bewusst dass trotz aller guten Vorsätze dieser Bericht an vielen Punkten oberflächlich und lückenhaft bleibt. Viele Aspekte müssen in der Zukunft in mühsamen Versuchen genauer heraus gearbeitet werden und sich dann dem Test in der Praxis stellen.
Gerne möchte ich für offene Fragen oder kommende Vorbereitungen meine Hilfe und Erfahrungen zur Verfügung stellen.
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