MARIVA - Es war einmal ein ungläubiges Kind
Original D
ES-Zeiten - V. Kapitel
Ungläubiges Kind
1946
aus Trümmern
AUFERSTEHEN
im Januar 1946 zurück in Berlin steht ES davor: UNGLÄUBIG denn
das Brandenburger Tor steht noch,
die Quadriga wehrt sich,
die beiden Torhäuser bewachen noch den Pariser Platz,
nur der Tiergarten müsste nach dem langen Winter wieder grünen & viel wachsen.
In Berlin lag Schnee, viel Schnee, und das war gut, denn die Trümmer waren sanft zu einer Filmkulisse geworden. Die Menschen wohnten in dunklen Höhlen unter und hinter der sanften Kulisse. - Die S-Bahn fuhr Mutter und Kind nach Marienfelde, hier außerhalb der großen Stadt waren weniger Trümmer und Ruinen. So standen sie dann guter Hoffnung vor der elterlichen Wohnung. Diese war jedoch möbliert Flüchtlingen zugeordnet worden, es wurde kein Einlass gewährt, noch nicht einmal, um nach Unterlagen zu suchen.
Nach mehrmaligem mühsamen Umsteigen mit den zwei schweren Koffern auf der kriegsgeschädigten S-Bahn war es schon sehr spät, als beide dann in Mahlsdorf sich in verschneiter Nacht zu einer Gartenkolonie durchfragten, um an der Laube von Tante Eri, der mütterlichen Schwester anzuklopfen und um Herberge zu bitten.
Man rückte zusammen, Tante Eri hatte eine eineinhalb-jährige kleine Tochter und einen Eisenbahner zum Mann, der die Laubenunterkunft für ausgebombte Berliner Lokführer und Heizer organisiert hatte. - Es war bitterkalt, die wenigen Decken zum Schlafen klamm und der Abort im Häuschen vor der Tür zugefroren, mit dem Vorteil, dass sich Gerüche in der Kälte nicht besonders verbreiten.
Tante Eri fuhr jeden Morgen sehr früh zur Arbeit, und ihr Mann hatte immer Schichtdienst. Die eigene Mutter war ständig unterwegs, um Unterkunft und Arbeit zu finden.
Einige Zeit wurde das Kind tagsüber als williger Babyhüter eingesetzt. - Zum Glück war die kleine Kusine schon bereit, sich aufs Töpfchen zu setzen, der Podex wurde mit kleinen Abrissen der BZ (Berliner Zeitung) gesäubert, aber das Ausleeren u. Säubern des Töpfchens draußen im eiskalten Abort wurde gerne vom Babyhüter vergessen.
Wenn es gar zu kalt war, verkroch man sich unter die Federbetten. Was und womit gespielt wurde, blieb nicht in der Erinnerung; - aber Kinder haben mehr Fantasie als Erwachsene sich vorstellen können. Vielleicht wurde im Dunkeln unter den Decken Fliegeralarm gespielt. Was so im Frieden gemacht wird, war ja noch nicht bekannt.
Am Tage ernährten sich beide von Brot mit Marmelade oder Rübenkraut, da man ihnen das aktive Feuermachen noch nicht zutraute. Abends kochten und heizten dann die Erwachsenen auf der Kochhexe.
Verbreitet waren in der Kriegs- und Nachkriegszeit rechteckige Kochhexen aus starkem Eisenblech. In unterschiedlich großen Ringen konnte man verschieden große Töpfe einsetzen, die direkt über dem Feuer hingen. Unter der Herdplatte befand die Befeuerungsöffnung, darunter ein Aschebehälter.Der Rauchabzug brauchte keinen Kaminanschlusses, sondern ein Ofenrohr wurde meist über eine Aussparung im Fenster nach außen geführt. Die Hexe war für verschiedenste Brennmaterialien geeignet und wurde zum Kochen wie zum Heizen genutzt.
Einen Stromanschluss hatte die Laube nicht, so dass von den häufigen Stromsperren nichts gemerkt wurde. Im Januar sind die Tage kurz und die Kinder saßen halt frühmorgens und am späten Nachmittag im Dunkeln bis die Erwachsenen bei ihrer Rückkehr eine kleine Lichtquelle anzündeten, meistens eine alte Grubenlampe, die mit Karbid betrieben wurde.
Karbid ist ein kreideartiges Mineral, das sich etwas speckig anfühlte, was man allerdings tunlichst nicht zu lange anfassen sollte - und etwas Wasser. Wenn Karbid mit Wasser in Berührung kommt, entwickelt sich ein brennbares Gas. Die Flamme brennt sehr hell und gibt ein etwas bläuliches Licht ab.
Hierbei handelt es sich um ein 2-Kammer-Gefäß. Die Kammern sind übereinander angeordnet und über ein Bügelsystem miteinander verbunden. In die obere Kammer wird Wasser gefüllt. In die untere Kammer kommt Karbid. Mit einemVentil wird dem Karbid (Calciumkarbid CaC2) Wasser zugeführt. Dabei entsteht s. g. Ethin, auch Azetylen-Gas genannt (C2H2).Dieses Gas wird über ein Rohr zur Oberseite der Lampe geführt, endet dort als Brenner u. wird gezündet. Der Überdruck aus dem Gasbehälter verhindert einen Flammenüberschlag zurück in den Behälter. Die Flamme erreicht eine Brennhöhe von ca. 4 cm. Um die Leuchtkraft zu einer Seite hin zu erhöhen, wurde hinter der Flamme häufig ein Spiegel montiert. Dieser besteht oft aus poliertem Messingblech.
Diese Lampe hing so hoch, dass das Kind nicht heran kam und das Karbid wurde vorsichtshalber weggeschlossen. Die stark rußende Petroleumleuchte wurde nur im Notfall angemacht, das Petroleum gab es nur auf Bezugsmarken und das Karbid konnte man sich als Eisenbahner wohl einfacher besorgen.
Wenn die uralte Wasserpumpe im Garten mal wieder eingefroren war, kochte man auch sauberen Schnee ab, aber es mussten immer Unmengen von Schnee heran, um einen kleinen Topf voll Wasser aufzutauen. Manchmal versuchte man es an den Pumpen der Nachbarn, aber meistens lies die eisige Kälte nirgends Wasser fließen. - Ein Glück, dass nicht auch noch eine Klospülung versorgt werden musste.
Tante Eri hatte am 17. Januar Geburtstag; - sie hat es geschafft, für alle mit Weizenmehl vom Schwarzmarkt und etwas Bäckerhefe einen leckeren Marmeladenkuchen in der Bratpfanne zu backen, man feierte das Überleben und dass alles nur besser werden konnte.
Das Kind hatte in dieser Zeit des Überlebens durchaus verstanden, dass es minimale lebenserhaltende Grundbedürfnisse gab, wie ein Dach über dem Kopf, möglichst tägliches Sattwerden, Wasser und wärmende Kleidung. ES war schon zufrieden, wenn bislang diese einfachen Erwartungen erreicht wurden; und so war der mit Marmelade gefüllte Hefekuchen ein derart seltener Hochgenuss, der nicht nur den Körper sondern vielleicht sogar ein wenig die Seele befriedigte.
An diesem Geburtstagsabend wurde sogar ein wenig gelacht, die mit Holz gefütterte Kochhexe hatte die Laube und die Gemüter erwärmt. Der harte Beschaffungsalltag der Erwachsenen wurde ein wenig vergessen.
Es ist richtig, dass Kinder im ersten Nachkriegswinter seltener spielten, weniger lachten und das Singen fast vergessen hatten; wenn man viel Zeit mit hungrig bibberndem Frieren verbringt, kommt auch Kindern die natürliche Lebensfreude ein wenig abhanden. Die "besseren Zeiten" waren in ihrer Vorstellungskraft noch nicht vorgesehen. -
Die Erwachsenen hofften auf jene "besseren Zeiten" und wärmeres Wetter. - "Der nächste Frühling kommt bestimmt!" - Keiner konnte sich vorstellen, dass in den Ruinen Deutschlands ihnen allen in Jahresfrist der kälteste Winter und der schrecklichste Hunger seit Jahrzehnten noch bevorstand.
Luftaufnahme Berlin1945
Reichstag Frühjahr 1946
Suchen nach den seelischen Grundbedürfnissen des Menschen
Die Seele eines jeden Menschen strebt nach Harmonie, nach Geborgenheit, nach freier Entfaltung, nach Freude (und nicht nach Spaß).
Es gilt zu untersuchen, welche Rolle der Staat bei den geistigen und seelischen Grundbedürfnissen spielt und welche er eigentlich spielen sollte.
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